„Wir sind dann mal weg“ - aus Eltern werden Gastarbeiter
Wie war das eigentlich – damals? …als es Menschen vorwiegend aus südlichen Ländern nach Deutschland zog – für eine Arbeitsstelle, um Geld zu verdienen für die Familien, für die Hoffnung auf ein besseres Leben, für eine gute Perspektive, vielleicht auch für ein Abenteuer – zunächst nur für eine kurze Zeit gedacht, immer mit dem Gedanken zurück zu kehren.
Diesen Fragen gingen schon zwei Bücher nach, die das Netzwerk Jugendhaus Buer e.V. gemeinsam mit Jugendlichen erarbeitet hat: „Angekommen – Buer und seine Gastarbeiter“ (2014) „Nachgekommen – Frauen in der Gastarbeitergeschichte“ (2017)
In dem sich nun in Arbeit befindlichen dritten Band geht es um die Kinder der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter unter dem Arbeitstitel „Mitgenommen – Aufwachsen zwischen zwei Welten“.
Hin und her – auch für viele Kinder
Bei vielen der Gastarbeiter*innen war die Entscheidung, welchen Lebensmittelpunkt sie für sich und auch ihre Familien entscheiden wollen und können, ein langwieriger und auch sehr schwieriger Prozess. Die Aufenthalte wurden länger, die Sehnsucht nach der Familie wuchs, Entscheidungen wurden neu getroffen. Der Nachzug der Familien an die Arbeitsstätte in Deutschland veränderte das Leben aller Familienmitglieder sehr deutlich. Die Frauen lebten mit ihrem Lebensschwerpunkt ‚Familie‘ in oft sehr einfachen Wohnungen in der ‚neuen Heimat‘ - mit ihren Kindern und wenig Kontakten in die deutsche Gesellschaft. Die jungen Väter mussten sich nun abseits des Arbeitslebens verstärkt um die Belange der Familien mit oft mehreren Kindern Gedanken machen. Besonders als das Schulleben und daran anknüpfend auch langfristig berufliche Perspektiven eine Bedeutung für die Kinder bekamen, wurde die Zerrissenheit der jungen Familien deutlich - nicht wenige beschlossen wieder zurückzukehren, oder zumindest die schulpflichtigen Kinder zurückzuschicken zu Familienangehörigen.
Gesetzliche Veränderungen führten dann zu einem großen Druck sich endgültig für ein Leben hier oder dort zu entscheiden. Somit mussten auch hier wieder oftmals neue Entscheidungen für die Kinder getroffen werden. Nicht wenige der betroffenen Kinder und Jugendlichen verbrachten Jahre ihres Lebens an verschiedenen Orten, bei unterschiedlichen Familienmitgliedern und in sehr unterschiedlichen Lebensbezügen – mit erheblichen Problemen zwischen diesen Welten zu pendeln und von den Entscheidungen der Eltern und Großeltern abhängig zu sein. Nicht wenige haben bis heute ein Problem ihre Identität zwischen den Kulturen als gesichert zu empfinden und leben mit dem Gefühl, dass ihre Seele zwischen den Kulturen ‚hängen geblieben‘ ist.
Zitat eines Interviewpartners, der nach Deutschland geholt, nach einigen Jahren wieder zurück in die Türkei geschickt wurde, und dann doch wieder nach Deutschland kam:
„Das Leben wurde da unterbrochen.“
Vielfältige Lebensgeschichten von, mit und für junge Menschen
Dieser schwierigen Thematik nähern wir uns gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der Lindenschule Buer (viele auch mit ‚Migrationshintergrund‘) mit einem weiteren Buchprojekt. Wir befragen gemeinsam die „mitgenommenen“ Kinder der ehemaligen Gastarbeiterfamilien, versuchen ihr persönliches Empfinden in der damaligen Situation zu erfassen und dieses in einem Buch aufzugreifen.
Diese durchaus sensible Arbeit an der schwierigen Geschichte der damals jungen Menschen, die selbst nicht entscheiden konnten, wo und wie sie leben sollen, die zwischen oder auch mit zwei Kulturen groß geworden sind, kann sowohl die positiven Aspekte thematisieren - „sich in zwei Kulturen auskennen und sicher fühlen“ - als auch die schwierigen Aspekte beleuchten - „sich zwischen zwei Kulturen hin- und hergerissen fühlen“.
Unterschiedlichen Medien werden bei der Recherche genutzt (Interviews, Literatur, Internet, Foto- und Filmdokumente), die als Grundlage für eine Ausstellung sowie ein Buch dienen.
Geschichten und Erlebtes zu Papier bringen - Medienkompetenz
In Zusammenarbeit mit einem professionellen Mediengestalter entstehen eine Ausstellung und ein weiteres Buch in unserer kleinen Reihe zur lokalen Gastarbeitergeschichte - aus vielen Geschichten und Anekdoten, aus viel Erlebtem und Gelebtem, aus bunter Lebensvielfalt mit Brüchen und Heilungen, aus Lebensfragmenten mit Fragestellungen und Perspektiven. Deren Erarbeitung und inhaltliche Ausgestaltung, sowie der Umgang mit Grafik und gestalterischen Elementen, mit der Kraft und Dynamik eines Layouts , mit der Verantwortung für Gedrucktes und Veröffentlichtes erfahren die beteiligten jungen Menschen in der konkreten Erarbeitung der Ergebnisse ihres Projektes.
Das eigene Leben?
Wir möchten in diesem Projekt auch versuchen eine Brücke zu schlagen zu Kindern und Jugendlichen, die aktuell von der Zuwanderung betroffen sind - Kinder und Jugendliche, die mit Fluchterfahrung oder aus ganz anderen Gründen zu uns kommen und plötzlich ‚neue‘ Mitschülerinnen und Mitschüler, Nachbarinnen und Nachbarn und auch Freundinnen und Freunde sind. Dies zeigt sich jetzt schon als Lebensalltag der jungen Menschen, die oft selbstverständlich auf Gleichaltrige aus anderen Nationen treffen. Auch hier sind Zuhören, Empathie und Respekt im Umgang miteinander gefragt – eine alltägliche Herausforderung.