Geschichte über Geschichten transportieren

 

Volker Issmer las in der Villa Hecker aus dem dritten Band seiner Reihe „Fremde Zeit – Unsere Zeit“

 

Osnabrück, 16. Januar 2017

 

Es ist bereits mehr als 70 Jahre her, aber plötzlich wird Geschichte ganz nah: Bei seiner Lesung in der Villa Hecker holte Volker Issmer Ereignisse aus dem Zweiten Weltkrieg ins Jetzt. Dabei spielte der Ort der Lesung eine besondere Rolle. Auch die letzten Stunden des Osnabrücker Malers Franz Hecker (1870-1944) hat der Historiker und Lehrer in seinem jüngsten Buch in einer fiktiven Geschichte aufgegriffen – und in dessen ehemaligem Atelier am Schölerberg vorgetragen. Seit zwei Jahren ist die Villa Hecker Sitz der Friedel & Gisela Bohnenkamp-Stiftung.

„Volker Issmer wird uns nachdenklich machen“, hat Michael Prior, der Geschäftsführer der Bohnenkamp-Stiftung, das Publikum zu Beginn des Abends begrüßt. Die Geschichten Issmers beruhen auf Fakten, auf denen er fiktive Begegnungen, Abläufe oder Gespräche aufgebaut hat. 24 Beiträge umfasst sein jüngstes Buch „Fremde Zeit – Unsere Zeit. Ein Lesebuch, Teil III“. Es ist der dritte Band des Osnabrücker Autors in einer Reihe, in der er aus der Sicht von Opfern und Tätern über die Zeit des Nationalsozialismus schreibt.

„Es sind Geschichten, die deutlich machen, dass die Geschichte nicht vergangen ist, sondern dass sie bis heute wirkt“, sagte der Autor bei der Lesung, für die er drei Beiträge ausgewählt hatte: Mit der ersten zeigte er auf, wie der Hausherr der Villa Hecker die Zeit des Nationalsozialimus erlebt haben könnte. Nicht alles aus dieser Zeit ist über Hecker bekannt. Wohl aber, dass er sein freundschaftliches Verhältnis zu einer jüdischen Familie auch in der NS-Zeit nicht aufgegeben hatte. Hecker war in einem Luftschutzbunker am Schölerberg gestorben.

Dort hatte er mit seiner Schwester und seiner Haushälterin sowie 93 weiteren Menschen, darunter zahlreiche Kinder, Schutz gesucht. In der Folge eines Bombeneinschlags waren sie aber alle an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung gestorben. Einen ehemaligen Häftling aus dem Arbeitserziehungslager Ohrbeck, der an der Bergung der Opfer beteiligt gewesen war, hat Volker Issmer später kennengelernt. Der Mann ist nun, wenige Tage vor der Lesung, gestorben. Volker Issmer greift in seinen Büchern oft Geschichte auf, um sie in eigenen Geschichten zu transportieren und so greifbar zu machen. 1943 im schlesischen Glatz geboren, begann Issmer die Reihe seiner Veröffentlichungen mit dem zweisprachigen Sammelband „Niederländer im verdammten Land“. Es folgten weitere Bücher sowie Beiträge in Zeitschriften und Zeitungen. Und auch die beiden anderen Geschichten des Abends haben Bezüge bis ins heute. Wie der Beitrag über Bernhard Schopmeyer, der 1945 im Bürgerpark erschossen worden war. Bis jetzt ist ein Konflikt nicht beigelegt, der sich um einen Arbeitsvertrag dreht, den Schopmeyer bei seinem Tod in seiner Aktentasche mit sich geführt haben soll. Später sei dieser nicht mehr aufzufinden gewesen, was aus Sicht der Familie des Ermordeten bedeutete, Pensionsansprüche nicht geltend machen zu können. „Ich kann die Darstellung der Familie so nicht stützen“, legte Dr. Hermann Queckenstedt am Ende der Lesung dar. Der Direktor des Osnabrücker Diözesanmuseums erläuterte, wie er verschiedene Unterlagen im Bistum und im Staatsarchiv hinsichtlich der Pensionsansprüche untersucht habe: „Ich habe keinen Anhaltspunkt für die Darstellung der Familie gefunden“, betonte Queckenstedt. Am Ende der Lesung schlossen sich persönliche Gespräche zwischen Volker Issmer und den Gästen an.

Volker Issmer (2016): Fremde Zeit – Unsere Zeit. Ein Lesebuch, Teil III, Geest-Verlag, Vechta, 12,50 Euro.